Untergang und Kritik an einer Idee
Wie so oft verkehrt sich der edle Drang in unedle Gier, was auch an der Entwicklung und schließlich dem Untergang der Wunderkammer zu beobachten ist: War es anfangs noch die Lust am Erforschen, Verstehen und Erklären der Welt, die als holistisches Gesamtsystem durch ihre (repräsentativen) Einzelteile veranschaulicht werden sollte, entstand daraus mehr und mehr eine Art Wertanlage an immer teureren, raffinierteren und wertvolleren Objekten, die mehr die Repräsentationslüste der Sammelnden und die Sensationsgier der Betrachtenden bediente als durch diese Objekte die Lust am Ergründen der Welt und ihrer Zusammenhänge zu fördern. Die öffentliche Sammlung in der die Objekte nicht nur passiv bestaunt werden durften entwickelte sich in eine organisierte Verwahrung von Objekten, die hinter Glas jedem haptischen Zugriff entzogen wurden, was eine rein kognitiv/visuelle Einordnung sowie eindeutige Bezeichnungen durch Beschilderung nach sich zog. Diese Entwicklung darf wohl als die Geburtsstunde des Museums verstanden werden.
Was beim Nachdenken über den Ort Wunderkammer und den in ihr beherbergten Objekten nicht ausgelassen werden darf, ist ein kritischer Umgang mit der Form und dem Inhalt, den Objekten selbst, denn diese stammen oftmals aus zweifelhafter Herkunft und sind teilweise auf fragwürdige Weise in die Wunderkammern gelangt. Stichworte sind hier Kolonialismus und imperialistisches Großmachtstreben. Was sicher auch zum negativen Bild der Wunderkammer beigetragen hat sind die Kategorisierungen der Objekte und hier vor allem die Kategorie „Exotica“, unter deren ein fragwürdiger Blick auf fremde Kulturen (was immer das genau heißt), etabliert wurde.
Wir als Wunderkammmer-Kollektiv erkennen hier eine Pflicht zur kritischen Reflexion sowohl des Begriffs der Wunderkammer, als auch gegenüber den Sammlungs-Kategorien und deren Auswirkungen in Bezug auf Rassismus und Diskriminierung. Wir haben lange überlegt, ob wir den Begriff Wunderkammer benutzen wollen und dürfen und haben uns schlussendlich dafür entschieden. Denn wir sind zu der Überzeugung gelangt, dass nicht nur die Wunderkammmer selbst ein Aufbewahrungsort für Gegenstände mit tieferer Bedeutung sein kann, sondern jeder Mensch eine Wunderkammer beherbergt. Wir glauben fest daran, dass jeder Mensch in der Lage ist sowohl sich zu wundern (was laut Jostein Gaarder die einzige Fähigkeit ist, „[die] wir brauchen, um gute Philosophen zu werden.“ in Sofies Welt, S.2) sowie Wundersames oder Wunderbares zu schaffen. An diesem Punkt setzt das Projekt Wunderkammmer an: das Wunderbare der Menschen zu entdecken, Gemeinsamkeiten zu identifizieren und sich darüber zu wundern, wie wunderbar, einzigartig und klein die Welt doch ist und wie viel mehr Dinge uns verbinden als trennen.